Selbst-Organisation in einer städtischen Verwaltung, geht das? Diese Frage kann in Herrenberg ganz klar und deutlich mit „Ja“ beantwortet werden. Seit Frühjahr 2018 ist der Arbeitsbereich Bauhof des Amtes für Technik, Umwelt, Grün (TUG) in die Selbst-Organisation überführt worden und der Erfolg zeigt: Was sonst nur in Agenturen oder „startup“-Unternehmen funktioniert, kann auch in einer Verwaltung funktionieren. Auch der öffentliche Dienst kann „New Work“!
Selbst-Orga als Antwort auf eine Mitarbeiter-Befragung
Was für das Thema „Digitalisierung“ gilt, gilt erst recht für die Neustrukturierung des Arbeitsalltags in einem Teilbereich des Amts für Technik, Umwelt, Grün. Der Prozess wurde keineswegs nur aus „Jux und Tollerei“ angestoßen. Er war vielmehr eine längst überfällige Reaktion auf die allgemeine Gesamtsituation. Im gesamten Team des Arbeitsbereiches „Bauhof“ herrschte eine große Unzufriedenheit. Dementsprechend negativ war die Stimmung im Team. Motivation und Effektivität köchelten auf einer Sparflamme, die kaum kleiner hätte sein können. Eine Tatsache, die bekannt war und aus der man auch im Nachhinein keinen Hehl macht, doch an der man zunächst wenig ändern konnte.
Bis zum Jahr 2017. Zum Stein des Anstoßes wurde „Zukunftsfähiges Herrenberg“. Ein Gesamtkonzept, das auf Initiative des Hauptamtes auf den Weg gebracht wurde und das die gesamte Stadtverwaltung umfasst. Eine Mitarbeiterbefragung, die im Rahmen dieses Prozesses und für alle Ämter durchgeführt wurde, brachte für das TUG das oben bereits angedeutete Ergebnis: Ein ganz großer Teil der Mitarbeiter war unzufrieden. Sie erhofften sich mehr Entwicklungsmöglichkeiten, und das sowohl in monetärer, wie auch in persönlicher und fachlicher Hinsicht. Sie fühlten sich unterfordert. Ihr fachliches Können wurde teilweise nicht genug wert geschätzt und teilweise gar nicht oder nur unzureichend abgerufen.
Wie gesagt: Diese Kritik, und damit auch die Wünsche der Mitarbeiter, waren nicht neu. Nun aber gab man ihnen den notwendigen Raum. Aus einem hypothetischen „M´r sott“ wurde ein aktives „Packen wir es an“. Man wollte weg von den teilweise verkrusteten und hierarchischen Strukturen – hin zu effektiven, effizienten und auch digitalen Prozessen und Abläufen. Mit dem wunderbaren Nebeneffekt, dass die tollen Ideen und das fachliche Können der Mitarbeiter viel besser genutzt und gefördert werden kann.
Ganz konkret bedeutete dies: Eine frei gewordene Meisterstelle wurde nicht nachbesetzt. Die Arbeit wird in Selbstorganisation, also in Eigenverantwortung der Mitarbeiter, koordiniert und erledigt. Proportional zum „Mehr“ an Verantwortung wurde der Lohn angehoben oder vielmehr ein Belohnungssystem eingeführt – der „eingesparte“ Lohn der Meisterstelle schuf den notwendigen finanziellen Rahmen.
„New Work“ und „New Pay” – alles andere als ein Selbstläufer
Der Entschluss, das Bauhof-Team in die Selbstorganisation zu überführen, wurde im März 2018 getroffen. Zuvor hatten die Mitarbeiter des Bauhof-Teams allesamt eine entsprechende Selbstverpflichtung unterschrieben. Doch allein damit und dem daran anknüpfenden Grundsatzbeschluss zur Einführung der Selbst-Orga war es längst nicht getan. Schon deshalb nicht, weil der TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) ein recht starres Korsett vorgibt und es gerade für Mitarbeiter der unteren Lohngruppen im Grunde benommen keine oder nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung gibt. Die Implementierung des „New Work“-Ansatzes war deshalb kein Selbstläufer und gelang nur, weil sich einerseits das Hauptamt und der Personalrat der Herrenberger Stadtverwaltung für das „Experiment“ begeistern ließen und weil andererseits die Stadt Herrenberg durch das Förderprogramm „Digital@hbg“ des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg gefördert wurde. Einer der drei Bausteine von „Digital@hbg“ war die Einführung der Selbst-Organisation in einer Verwaltungsstruktur, das Förderprogramm des Landes ermöglichte der Stadt eine Forschungskooperation mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg. Von Prof. Dr. Claudia Schneider und ihrem Team wissenschaftlich begleitet und moralisch unterstützt, definierte die 12köpfige „Selbst-Orga“-Truppe des Amts für Technik, Umwelt, Grün ihre eigenen Regeln bezüglich Leistungsbewertung, Personalauswahl, Urlaub, Krankheit und Überstunden, um nur einen kleinen Teil der vielen Aufgaben zu nennen. Von der Gruppe, und aus der Gruppe heraus, wurden jeweils ein oder mehrere Ansprechpartner benannt, die sich um die Erarbeitung einer Lösung bemühten oder die während des Prozesses die Verantwortung trugen.
Schulungen, Fortbildungen, Teambesprechung
Die Mitarbeiter mussten und müssen in Führungs- und Verwaltungsaufgaben geschult werden, was bedeutete, dass neben Oberbürgermeister, Dezernenten und Amtsleitern nun auch „Bauhofler“ zu den Lehrgangsteilnehmern zählen. Interne Prozesse und Abläufe mussten überdacht, geändert und, wo möglich, digitalisiert werden. Doch auch hier kommt das zum Tragen, was schon im Beitrag „Digitalisierung in aller Munde“ angesprochen wird: Man erlag nicht einfach nur den Verlockungen, die die „Digitalisierung“ zu bieten hat, sondern man wählte sorgfältig aus, wo man auf technische Neuerungen setzen und in welchem Ausmaß man diese in den Arbeitsalltag integrieren wollte. Dies geschah im Bewusstsein, dass Digitalisierung weitaus mehr umfasst, als nur die technische Komponente. Digitalisierung beginnt in den Köpfen der Menschen und nur, wenn diese den Neuerungen aufgeschlossen gegenüber stehen, wenn sie erkennen, welche Vorteile diese Veränderungen mit sich bringen, werden sie diese Neuerungen auch annehmen. Nur so macht der digitale Wandel Sinn, nur so kann der digitale Wandel überhaupt erst gelingen.
Doch zurück zur Herrenberger Selbst-Orga-Gruppe: Über die Digitalisierung hinaus hat die Implementierung des New Work-Ansatzes sehr viel bewirkt. Man könnte fast sagen, es hat ein Kulturwandel stattgefunden. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit ihrer Arbeit und übernehmen ganz selbstverständlich Verantwortung. In Eigenregie, wenn auch wissenschaftlich (hin und wieder durchaus auch moralisch) unterstützt von den Fachleuten der Fachhochschule wurden die Rahmenbedingungen festgelegt. Bei all dem gab es keinerlei Blaupausen, auf die man hätte zurückgreifen können und ganz nebenbei durfte das Tagesgeschäft nicht vernachlässigt werden.
Man einigte sich darauf, dass die Aufgaben im Team und in Eigenverantwortung erledigt werden. Im Wechsel schlüpfen die Mitarbeiter in die Rolle des selbst installierten „Vier-Wochen-Mannes“, der in dieser Zeit der zentrale Ansprechpartner ist. Das gilt sowohl für die interne, wie auch für die externe Kommunikation. Wer keine Führungsaufgaben übernehmen wollte, hat sich dennoch schriftlich dazu bereit erklärt, in der Selbst-Organisation zu arbeiten und somit Aufträge von einem Kollegen anzunehmen.
Natürlich ist die Entwicklung des Bauhofs hin zum selbstorganisierten Arbeiten nicht völlig geräuschlos über die Bühne gegangen, doch das Team hat es immer wieder geschafft, Probleme und Differenzen anzusprechen und auszuräumen. Zum Jahreswechsel 2019 wurde die Selbst-Orga in die Eigenständigkeit „entlassen“, was nicht bedeutet, dass sie im Status Quo verharren darf. Der (Arbeits)Alltag wird die Gruppe immer wieder vor Herausforderungen stellen, die es notwendig machen, dass neue Regelungen gefunden oder bereits bestehende Vereinbarungen optimiert werden müssen.
Bestes Beispiel dafür ist die personelle Rochade, die die Selbst-Orga eigenverantwortlich gearbeitet hat und mit der der Weggang eines Kollegen kompensiert werden kann. Dieser hat sich erfolgreich für eine verantwortungsvollere und höherdotierte Stelle innerhalb der Stadtverwaltung beworben, was ganz unmittelbar mit seiner Mitarbeit in der Selbst-Orga und den dabei durchlaufenden Fortbildungen und (Führungskräfte)Schulungen zu tun hat. Seine Kollegen haben die Teams und die Arbeit so neu zusammengestellt, dass auch weiterhin das Tagesgeschäft reibungslos läuft und dass die frei werdende Stelle mit einem dringend benötigten Tiefbauer nachbesetzt werden kann. Dadurch, dass die personellen Verschiebungen von der Gruppe selbst angedacht wurden, ist die Akzeptanz im Team von vornherein gegeben – der Amtsleiter wiederum kann die „eingesparten“ Ressourcen für die strategische Entwicklung seines Amtes nutzen.
Effiziente, digitale, selbstorganisierte Arbeit
War in früheren Zeiten der Meister oft der „Flaschenhals“, der Arbeitsprozesse verlangsamt und Entscheidungen verzögert hat – einfach, weil aufgrund der Fülle an Entscheidungen gar nicht alle auf einmal getroffen werden konnten – so gehört das nun der Vergangenheit an. Da die Aufgaben auf acht Schultern verteilt sind, da die Selbst-Orga für jeden Arbeitsbereich ein Kollegenpaar aus den eigenen Reihen als Verantwortliche benannt hat, da diese Teams für ihre Aufgaben speziell geschult werden und durch die dauerhafte Übernahme der Aufgaben zusätzliche Kenntnisse erwerben und Erfahrungen sammeln können, wird die Arbeit schneller und in einer höheren Qualität erledigt. Zudem herrscht eine gewisse Ausfall-Sicherheit. Erkrankt ein Partner, hat dieser Urlaub – oder wechselt eben ein Kollege den Arbeitsplatz – ist immer noch der Zweite aus dem Tandem da, der dafür sorgt, dass die Arbeit zuverlässig und gut getan wird.
Vergleichbar mit einer Spirale bewegen sich die Mitarbeiter, und somit das gesamte Amt für Technik, Umwelt, Grün aufwärts. Angestoßen von einzelnen Digitalisierungsprozessen wie dem Grünflächenmanagement und dem Mängelmelder gab es im Amt einen Strukturwandel, die Selbstorganisation wurde eingeführt. Diese wiederum fördert und fordert neue digitale Prozesse und Anwendungen und bringt diese letztendlich zum Fliegen. Die vergangenen Monate haben gezeigt: New Work und Digitalisierung funktionieren nur im Doppelpack und befruchten sich dabei in vielerlei Hinsicht gegenseitig.
Pressespiegel:
Artikel „Mut zu neuen Wegen“ in Kommune 21