Mit Freude für die Stadt und ihre Menschen.

Aus Beteiligung lernen! Aus Fehlern lernen!

1. Mai 2018

Bürgerbeteiligung hat bei uns schon Tradition. Wie viel wir in der Richtung seit meinem Amtsantritt in 2012 schon bewegt haben, wurde mir neulich wieder so richtig bewusst:

nämlich als das Baden-Württemberg-weite Netzwerktreffen am 27. April in Herrenberg Station machte, mit dem Thema „Beteiligung vor Ort“. Schaut man auf die Veranstalter und die Teilnehmer …

… das BW Staatsministerium, das BW Ministerium für Soziales und Integration, die BW Allianz für Beteiligung und die Stadt Herrenberg …

… ist klar: Thema und Veranstaltung erhalten bis auf hohe Regierungsebene hinauf viel Beachtung und Bedeutung!

Genauso schnell war klar: Die Technischen Dienste sind an diesem Tag als Gestalter mit von der Partie. Wir gingen mit zwei Workshops an den Start: Beteiligung von Kindern“ und „Aus Beteiligung lernen“:

Was zeichnet gelungene Beteiligungsprozesse aus? Wie kann man aus Fehlern lernen?

In dem Untertitel des Workshops steckt eine Ladung Dynamit. In erster Linie für mich selbst: Wer redet schon gern in aller Öffentlichkeit über Projekte, die – subjektiv gesehen – eher suboptimal liefen? Wie oben gesagt: Wir blicken mittlerweile auf viele Projekte mit Bürgerbeteiligung zurück – tolle Beteiligungsprozesse, bei denen viel Gutes bewegt wurde, an die ich zum größten Teil voller Freude und Zufriedenheit zurückblicke. Bis auf eins. Und genau dieses eine sollte in meinem Workshop im Fokus stehen.

Herrenberger Bürgerbeteiligungsprozess mit unerwartetem Ausgang: Planung einer Freizeitanlage

In einem Handout fanden die Teilnehmer alle wichtigen Fakten zu diesem Thema aufbereitet, Sie als interessierter Leser können sich das Handout am Ende des Artikels ebenfalls anschauen.

Auf einem ausgiebigen Spaziergang – ausgehend vom Längenholz (hier hätte der große generationenübergreifende Bürgerpark entstehen sollen) über das Alte Freibad (derzeitige „Spielwiese“ für die Jugendlichen) bis hin zum Jugendhaus – erläuterte ich den ca. 20 aus ganz Baden-Württemberg angereisten Teilnehmern den Werdegang des Projektes und den Status quo. Im Jugendhaus gab es dann Gelegenheit, das Gehörte und Gesehene gemeinsam zu reflektieren. Man merkte: Das Publikum war vom Fach, mit weiterführenden Statements, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden.

„Beteiligung braucht Raum.“

Ein großes „WOW!“ ging durch die Runde. Die Teilnehmer waren hin und weg von der einzigartigen Jugendhaus-Architektur.
Vor 30 Jahren wurden die Jugendlichen aus dem damaligen innerstädtischen Jugendhaus (heute: Hinz und Kunz) quasi vertrieben und bauten mit der professionellen Begleitung eines Stuttgarter Architekturbüros dieses außerhalb des Stadtzentrums gelegene Haus.
Und was für ein Haus! Eine Wahnsinnsleistung, die von den damaligen Jugendlichen erbrachte wurde. In dem Zusammenhang fiel dieser Satz, in dem viel Wahres steckt:

Beteiligung braucht Raum. Das war damals Beteiligung vom Feinsten, die nur möglich war, weil den Jugendlichen viel Raum – im praktischen und im übertragenen Sinne – zugestanden wurde.

So wie auch bei der Planung des Bürgerparks. Im gesamten Planungsprozess waren die Jugendlichen sehr engagiert bei der Sache – ihnen wurde viel Raum gegeben zur Ideenentwicklung, den sie zu nutzen wussten. Logisch, dass sie sehr enttäuscht waren, als das Projekt auf den letzten Metern kippte.

Aber als Folge machten sie den Mund weit auf und fassten ihren Unmut in Worte. Wiederum bekamen die Jugendlichen viel Raum, ihre Meinung deutlich kundzutun, bis hoch zu den Entscheidern im Gemeinderat. – Der Effekt? Auch wenn der generationenübergreifende Plan bis auf weiteres nur in der Schublade lebt – der Parkteil für die Jugendlichen kommt. Also ein stark abgespeckter Freizeitpark NUR für Jugendliche. Die Stadt hätte im Nachklapp sicherlich nicht so viel Geld in die Hand genommen, wenn die Jugendlichen nicht so selbstbewusst aufgetreten wären und klare Kante gezeigt hätten.

„Nur wenn Projekte scheitern dürfen, dann sind sie auch echt.“

Die Option des Scheiterns macht Beteiligung aus. Ein Projekt darf auch mal scheitern. So der Tenor im Forum. Okay, demzufolge hatten wir unübersehbar ein echtes Beteiligungsprojekt.

„Sind die Menschen in BW besonders widerborstig?“

Die Frage stellte einer der Teilnehmer durchaus ernsthaft. Woran liegt es, dass ausgerechnet in BW große Bürgerbeteiligungsprojekte immer wieder scheitern, Stuttgart 21 lässt grüßen? Die anwesenden Beteiligungsexperten machten zwei Bürgerlager aus: Die einen immer misstrauisch, immer Gewehr bei Fuß, bereit zu „schießen“, sobald sie etwas ausmachen, was ihnen persönlich schaden könnte. Die anderen besonders engagiert und hilfsbereit (Beispiel Flüchtlinge). Beide Lager finden sich interessanterweise genau in Baden Württemberg besonders ausgeprägt wieder.

„Politisch-gesellschaftliche Teilhabe ist sehr wichtig in einer repräsentativen Demokratie.“

Ebenfalls eine spannende, tiefgründige Aussage. Weniger als in früheren Zeiten reicht es heute nicht mehr, alle paar Jahre bei den Wahlen seine Stimme abzugeben, sein Mandat geben, um von „denen da oben“ dann alles regeln zu lassen. Inzwischen ist das Parteienspektrum zu eng, um die Bevölkerung angemessen zu repräsentieren. Mit der Folge, dass die Anzahl der Nichtwähler und der Extremwähler immer größer wird. Umso wichtiger ist das Instrument der Bürgerbeteiligung, um die repräsentative Demokratie zu ergänzen und möglichst viele – auch politikmüde – Bürger aktiv mit einzubinden.

„Aufsuchende Beteiligung: Dort hingehen, wo es wehtut“

Ein anderer in der Runde prägte diesen Satz, der voller Aktion und Spannung steckt. Der Teilnehmer erzählte aus eigener Erfahrung, was es in der Praxis bedeutet, Quartiersbewohner in Beteiligungsprozesse voll mit einzubeziehen. Er nannte ganz konkrete Punkte, wie Bürgerbeteiligung am besten gelingt:

Begleitgruppen einrichten, die den Prozess vorbereiten, bestehend aus 1) Verwaltung, 2) Bürger FÜR ein Projekt, 3) Bürger GEGEN ein Projekt

– völlig ergebnisoffen an die Sache rangehen, nichts groß vorplanen. Platz lassen für Neues (wobei das Neue manchmal erstaunlich banal und einfach umzusetzen ist, wie zum Beispiel der Wunsch nach einer Ruhebank, einem zusätzlichen Mülleimer …)

– In den Quartieren die Bürger nach dem „Zufallsprinzip“ zu Workshops und Beteiligungsforen einladen; für die repräsentative Auswahl die Prinzipien der modernen Marktforschung nutzen

– Am Schluss die Verwaltung dann so einbinden, dass die Bürgeranliegen dort in guter Weise gewichtet und selektiert werden: Was ist wirklich machbar?

„Beteiligung ist KEIN Wunschkonzert. ABER: Jeder Mitmachende hat das Recht auf GUTE Antworten. Und genau das ist die Aufgabe der Verwaltung.“

So lautete das Schlusswort des Workshops, dem ich mich gerne anschließe und dem ich mich in der Praxis immer wieder aufs Neue stelle und stellen werde.

Zurück zu unserem „gescheiterten“ Projekt Bürgerpark / Freizeitanlage. Vieles haben wir genauso gemacht wie oben angesprochen.

Aber EINE Sache würde ich heute tatsächlich anders angehen.
Ich würde die Quartiersbewohner von Anfang an NOCH aktiver in den Prozess mit einbeziehen und in die Planung integrieren als damals geschehen.
Ich würde deren Mitarbeit an der Planung bereits in einem frühen Stadium quasi „einfordern“. Denn auch wenn die späteren Gegner der Freizeitanlage in unserem fünf(!)teiligen gläsernen Beteiligungsprozess von Anfang viele Chancen hatten, mitzureden: Sie taten es nicht, sondern starteten mit ihrer Kontra-Bewegung erst auf der Zielgeraden.

Wer weiß, was die nächsten Jahre bringen. Letztlich haben ALLE Herrenberger Bürger das Sagen. Sollten irgendwann genügend Bürger aufstehen und Farbe bekennen, so wie die Jugendlichen – sollten sie anfangen, für die ursprüngliche geplante Mehrgenerationen-Bürgerpark-Variante in Herrenberg zu kämpfen, dann bin ich gemeinsam mit der Verwaltung bereit das Paket nochmals aufzuschnüren.

Stefan Kraus

Aus Beteiligung lernen: Handout Freizeitanlage_DRUCK

Beteiligung von Kindern: Handout_TDH_DRUCK

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